Tour de France: Profis unter Beobachtung

By | 9. Juli 2013
Tour de France

Vzach / Wikimedia

Der professionelle Radrennsport hat keinen guten Ruf. Jedes Jahr kurz vor Beginn oder nach dem Ende der Tour de France stehen Radrennprofis im Fokus: Wer hat gedopt? Und womit? Hat die Tour vor 110 Jahren noch als unschuldige Veranstaltung begonnen, wird sie heute auf dem Schlachtfeld der Zeitungsschlagzeilen ausgetragen. Skandale wie das Blutkonservendoping von Jan Ullrich (das er erst vor drei Wochen eingestand) oder die jüngste Beichte von Lance Armstrong — selten erregte ein Sport so sehr die Gemüter abseits des eigentlichen Wettstreits. Auch bei der diesjährigen Tour de France stehen die Fahrer unter konstanter Beobachtung, denn Anti-Doping-Agenturen und Kommissionen beginnen mit einer umfassenden Aufarbeitung der Missstände.

Als Radsportfans Mitte der Nullerjahre entlang der populären Rennstrecken demonstrierten, konnte man oft Transparente mit der Aufschrift „Tour de Doping“ sehen. Der Frust der Le-Tour-Fans war groß angesichts der sich häufenden Vorfälle. 2006 zogen die Veranstalter und Teams der Tour de France Konsequenzen: insgesamt 58 Fahrer wurden von der Teilnahme ausgeschlossen. Grund: organisierter Doping-Missbrauch bei den teilnehmenden Teams, unter ihnen Liberty Seguros und T-Mobile. Der sogenannte Fuentes-Skandal war monatelang Thema Nummer eins in den Medien. In Deutschland galt die Aufmerksamkeit vor allem Jan Ullrich, der, ebenso wie Ivan Basso vom Ausschluss betroffen, in einem publiken Zick-Zack-Kurs versuchte, seine Überführung zu verhindern. Die Vorwürfe gegen alle verdächtigten Rennfahrer lauteten auf Leistungssteigerung durch Transfusion verbotener Substanzen mittels erkaufter Blutkonserven. Strippenzieher war der Arzt Eufemiano Fuentes. Nachdem schon in den Neunzigern viele EPO-Doping-Fälle die Radsportwelt erschüttert hatten, ließen die Ermittler beim Fall Fuentes zurecht keine Gnade walten. Ulrich wurde vom Team T-Mobile gefeuert, viele Siege wurden ihm im Nachhinein aberkannt, 2012 wurde er vom Internationalen Sportgerichtshof schuldig gesprochen

In diesem Jahr findet die Tour zum hundertsten Mal statt. Doch statt der Festlichkeiten zum Jubiläum steht erneut das Doping im Mittelpunkt: Die Berichterstattung wurde im Vorfeld durch die Beichten von Lance Armstrong und Jan Ullrich dominiert. Der letztere bekannte sich erst jetzt, nach jahrelangem Schweigen, und ausgerechnet eine Woche vor Beginn der Tour in einem Interview mit dem Focus dazu, im Fuentes-Skandal involviert gewesen zu sein. Dafür kassierte er Spott in den Medien — von Lance Armstrong hingegen gab es Glückwünsche. Ausgerechnet von Armstrong, der die letzten Monate die Sportwelt mit seinem eigenen Geständnis in Atem hielt. Immer wieder waren Vermutungen laut geworden, der Star-Radrennfahrer und siebenfache Tour-de-France-Gewinner hätte sich auf raffinierte Weise über Doping Vorteile gegenüber seinen Konkurrenten verschafft. Im Oktober des vergangenen Jahres kamen, von einer Kommission gebündelt und umfassend dokumentiert, die ultimativen Beweise, die Armstrong zu einem Eingeständnis zwangen. Auch ihm wurden fast alle Titel aberkannt, darunter die Tour-Siege. Doch Ullrich und Armstrong sind keine Ausnahmefälle. In den letzten Jahren gingen immer mehr Profis an die Öffentlichkeit: Christian Van de Velde, Michael Rasmussen, Stefan Schumacher … die Liste ist lang. Doping bei der Tour de France? Eher Regel als Ausnahme.

Doch nicht nur mit Doping lassen sich Erfolge erschleichen. Auch Sabotageakte werden vereinzelt praktiziert. So geschehen bei der Tour de France 2012. Opfer wurde der Kroate Robert Kišerlovski. Bei der 14. Etappe warfen Unbekannte hunderte von Nägeln auf die Fahrbahn, was den Sturz von dreißig Fahrern zur Folge hatte. Am schwersten traf es jedoch Kišerlovski: Er brach sich beim Sturz das Schlüsselbein und musste die Tour abbrechen. Glücklicherweise konnte er sich erholen und wurde zum Sieger beim diesjährigen kroatischen Straßenrennen. Bei der historischen, hundertsten Tour de France ist er allerdings nicht dabei.

Bei all den Skandalen, die die Tour überschatten, ist in diesem Fall auch die Frage nach dem angekratzten Image der Sponsoren angebracht. Fällt im Zusammenhang mit Doping der Name T-Mobile oder Gerolsteiner — und das auf den Titelblättern der Zeitungen und vor allem auch viral im Internet — dann ist die negative Konnotation unvermeidbar und bleibt über Jahre hinweg im Gedächtnis, auch wenn der Sponsor schon längt nicht mehr beim eigentlichen Geschehen aktiv mitmischt (T-Mobile hat sich 2007 aus dem Radsport zurückgezogen, Gerolsteiner 2008). Ähnlich muss es wohl den Ausstattern und Sportbekleidungsherstellern gehen. Wenn auf einem Titelbild das Gesicht eines des Dopings verdächtigten oder überführten Fahrers im Close Up erscheint, wird die Ausstattermarke ungewollt in den Skandal miteinbezogen. So geschehen beim Hersteller Oakley, dessen Sonnenbrillen Lance Armstrongs Gesicht schmückten und somit millionenfach auf Fotos erschienen, zuletzt im Zusammenhang mit der Dopingbeichte.

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Oakley geht — im Gegensatz zu den erwähnten Sponsoren — in die Offensive und verkauft eine „Tour de France“-Sonnenbrillenkollektion für Amateur-Radrennfahrer übers Internet (auch bei Outlettern), und bewirbt sie sogar mit hohen Mitteln. Lance Armstrong hat der Brillenhersteller angesichts der Dopingvorwürfe eiskalt fallen lassen. Ob man selbst als Hobby-Radsportler eine Marke tragen will, die mit einer bestimmten persona non grata assoziiert wird, muss jeder für sich selbst entscheiden — die Verantwortung für den jeweiligen Imageschaden tragen aber nun mal in erster Linie die Sportler und ihre Rennställe.

Die Tour de France endet am 21. Juli — danach, das kündigte im Vorfeld der französische Senat an, werde eine Sonderkommission das Feld nochmal von hinten aufrollen. In der Vergangenheit hätten neue Ermittlungen zu Vorfällen im Doping-Enthüllungsjahr 1998 angestanden, die nun nach und nach an die Öffentlichkeit gebracht werden sollen. Um dem Tour-Jubiläum nicht zu schaden, wurde die Preisgabe der Fahrer, deren Proben mit einem positiven Testergebnis aus den Laboren zurückkamen, auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Ein französischer Rad-Profi hat die Gerüchte um seine Person bereits indirekt bestätigt. Weitere 43 werden folgen. Auch in diesem Jahr kommt die Tour de France einfach nicht zur Ruhe.